Etwas verspÀtet reichen wir einen Text von uns nach, der im letzten hEFt erschienen ist.
Teil 1 dieses Textes ist hier, Teil 3 hier
19 Jahre nachdem Herbert Marcuse in âTriebstruktur und Gesellschaftâ die Geschichte der SexualitĂ€t als Linie einer zunehmenden UnterdrĂŒckung gezeichnet hat, mischt einer die Diskussion mĂ€chtig auf: Michel Foucault, der in âSexualitĂ€t und Wahrheitâ die Mechanismen untersucht, die zum Sex drĂ€ngen, statt ihn zu unterdrĂŒcken â wohlbemerkt zu ganz spezifischem Sex.
Foucault konstatiert zunĂ€chst, dass SexualitĂ€t in den modernen Gesellschaften nicht beschwiegen wird: âAlles in allem sind wir die einzige Zivilisation, in der eigene Aufseher dafĂŒr bezahlt werden, daĂ sie jedem zuhören, der sich ihnen ĂŒber seinen Sex anvertrauen will: der Wunsch, vom Sex zu sprechen, und der Nutzen, den man sich davon verspricht, haben offenbar ein AusmaĂ angenommen, das ĂŒber die Möglichkeiten des Anhörens weit hinausgeht â weshalb bestimmte Leute schon ihre Ohren vermietet haben.â Mit der Durchsetzung der bĂŒrgerlichen Gesellschaftsform setzt also â gegenteilig zur Behauptung der Repressionshypothese unter anderem von Wilhelm Reich â ein Reden ĂŒber Sex ein: âum den Sex herum zĂŒndet eine diskursive Explosion.â
Foucault zieht dabei zur Analyse die katholische Beichtpraxis heran und stellt fest, dass die BeichtvĂ€ter im 17. Jahrhundert zunehmend ein Interesse an allen Dingen bekommen, die mit Sex zu tun haben. Dabei fĂ€llt auf, dass sich die Strategie der Befragung der SĂŒndiger_innen durchaus Ă€ndert â wĂ€hrend die Fragen vorher direkt auf den Gegenstand der SĂŒnde gerichtet waren, setzt nun eine gewisse Diskretion ein: das Sprechen ĂŒber Details wird als schmutzig empfunden und die Fragen werden unbestimmter. Diese Diskretion gleicht dem Umzingeln eines gefĂ€hrlichen Feindes. Die Festlegung der Bereiche, in denen ĂŒber Sex gesprochen wird, stellt gewissermaĂen eine Neuordnung der Diskurse dar â aber diese ist eben keine Ordnung des Schweigens: âUnter dem Deckmantel einer grĂŒndlich gesĂ€uberten Sprache, die sich hĂŒtet, ihn beim Namen zu nennen, wird der Sex von einem Diskurs in Beschlag genommen, der ihm keinen Augenblick Ruhe und Verborgenheit gönnt.â
Mit dem ganzen Gerede wird Sex also nicht unterdrĂŒckt, sondern gepusht. Im Diskurs von Beichte, Humanmedizin und Psychologie entstehen tausend SexualitĂ€ten und Perversionen, sauber kategorisiert und angeordnet. Dabei passieren zwei Sachen gleichzeitig: Die gerade erfundenen Perversen werden zu Kranken erklĂ€rt und in Heime und Anstalten gesteckt. Gleichzeitig wird der produktive, gesunde, saubere Sex gefördert. Dabei sind es zunehmend nicht mehr die Expert_innen, die kontrollieren, was erlaubt ist. Vielmehr ist jede_r gewissermaĂen zu ihrem eigenen Beichtvater geworden. In Talkshows, Illustrierten und Peergroups findet die Beichte heute in der Ăffentlichkeit statt. âSag uns, wie Dein Sex ist, damit wir wissen, wer Du bistâ â nie zuvor hat der Sex so eine groĂe Rolle fĂŒr die Selbstdefinition gespielt, war er so aufgeladen mit Bedeutung.
Foucault verwendet die Begriffe âbĂŒrgerliche Gesellschaftâ und âKapitalismusâ immer mit einer gewissen Skepsis, die gegen die Vertreter der Repressionshypothese gerichtet ist: âJedenfalls scheint die Hypothese einer UnterdrĂŒckungsmacht, die unsere Gesellschaft aus ökonomischen GrĂŒnden ĂŒber den Sex ausĂŒbt, entschieden zu kurz gegriffen [âŠ].â [S.75] Dennoch finden sich bei ihm zahlreiche Hinweise darauf, dass SexualitĂ€t und Kapitalismus etwas miteinander zu tun haben.
Schon im Sprechen vom Sex konstatiert Foucault eine Sachlichkeit, die charakteristisch fĂŒr die kapitalistische Herrschaft ist: â[…] man muĂ vom Sex sprechen wie von einer Sache, die man nicht einfach zu verurteilen oder zu tolerieren, sondern vielmehr zu verwalten und in NĂŒtzlichkeitssysteme einzufĂŒgen hat, einer Sache die man zum gröĂtmöglichen Nutzen aller regeln und optimal funktionieren lassen muĂ.â So wie der Kapitalismus alles zu Sachen macht, die verwaltet und tauschbar sein mĂŒssen, erscheint der Sex als eine Sache, die einem NĂŒtzlichkeitssystem zugefĂŒhrt werden muss. Das Diktat der NĂŒtzlichkeit fĂŒr ein Allgemeininteresse ist charakteristisch fĂŒr eine abstrakte Allgemeinheit, unter die im Kapitalismus alles subsumiert werden muss. Der Sex muss verwaltbar sein und Akteur dieser Verwaltung ist der Staat â allerdings agiert dieser nicht als eine Institution, die einfach Verbote setzt, sondern vielmehr Anreize zur Steigerung der ProduktivitĂ€t schafft und sich damit auf verschiedene Ebenen der Diskurse verlagert: âEr [der Sex] ist Sache der öffentlichen Gewalt, er erfordert Verwaltungsprozeduren, er muĂ analytischen Diskursen anvertraut werden. Der Sex wird im 18. Jahrhundert zu einer Angelegenheit der ‚Polizei‘. Allerdings im vollen und starken Sinne, den das Wort zu dieser Zeit besaĂ â nicht UnterdrĂŒckung der Unordnung, sondern verordnete Steigerung der kollektiven und individuellen KrĂ€fte [âŠ]. Polizei des Sexes: das ist nicht das strikte Verbot, sondern die Notwendigkeit, den Sex durch nĂŒtzliche und öffentliche Diskurse zu regeln.â Diese Form der Herrschaft ist eine, die bis ins Individuellste eindringt â benötigt der Sex eine versachlichte Sprache, die jeder sprechen muss, ist jede_r Einzelne gezwungen, sich selbst als Sache zu begreifen und zu durchdringen. Jede_r wird zu ihrem eigenen Polizisten. Mit diesem Ansatz, der hier mehr hervorgekehrt ist als Foucault dies tut, wĂ€re die foucaultsche Theorie fĂŒr eine Theorie der Verdinglichung gesellschaftlicher VerhĂ€ltnisse im Subjekt fruchtbar zu machen.
Von Seiten der Regierung her gedacht, ist es in der Neuzeit nur praktisch, den Sex steuern zu können. Die heutige BRD leidet z.B. darunter, dass sich der Pöbel vermehrt, wĂ€hrend die Elite immer weniger Kinder bekommt. Um das zu Ă€ndern, gibt es bei der Deutschen Forschungsgesellschaft ein Programm, dass jungen Akademiker_innen bei der FamiliengrĂŒndung hilft. Hier kommt man mit der Repressionshypothese nicht weiter, niemandem wird der Sex verboten. Aber bestimmten Leuten wird der Sex durch Förderprogramme verordnet. Gleichzeigig werden an anderer Stelle Sozialleistungen gekĂŒrzt. Die Strategie ist, dass der Volkskörper an den richtigen Stellen wachsen soll â Foucault nennt das Biopolitik.
Die Reproduktion des Lebens rĂŒckt ins Zentrum der Herrschaft und damit werden zwei Dinge besonders wichtig: Der Sex und der Körper. Der Sex bietet Zugang zum einzelnen Körper genauso wie zum Gattungskörper. Deshalb wird er zum Dreh- und Angelpunkt der Machttechnologie zum Leben. Gerade daran, wie sehr der Staat nun die Verantwortung ĂŒber den eigenen Sex und den eigenen Körper auf die Einzelnen ĂŒbertrĂ€gt (jede_r ist dazu gezwungen, sich selbst dahingehend zu befragen), lĂ€sst sich aufzeigen, wie sehr die kapitalistische Herrschaft in die Individuen hinein wirkt. Jede_r ist dazu gezwungen, dem Leben zu dienen; was bedeutet, sich eigenverantwortlich fĂŒr die kapitalistische Herrschaft zuzurichten. Die Moderne stellt die Akkumulation von Menschen in den Dienst der Kapitalakkumulation.
Was man jetzt fragen mĂŒsste, ist, wie der Unterschied zwischen den Vertreter_innen der Repressionstheorie und Foucault zustande kommt. Eine Möglichkeit wĂ€re, daĂ es eine Frage des Blickwinkel ist: Die alten waren halt Marxist_innen und haben daher auf’s System geblickt. Sie waren BildungsbĂŒrger_innen durch und durch und haben daher das bĂŒrgerliche Subjekt trotz aller Kritik als Angelpunkt der Befreiung gesehen. Nach dem Ausbleiben der Revoution guckt dann ein ernĂŒchterter Foucault (der aus kleinbĂŒrgerlichen VerhĂ€ltnissen kam) auf all die verrĂŒckten Mechanismen, die machen, daĂ die Leute mitmachen.
Vielleicht ist aber viel wichtiger, daĂ die Macht in den 1970er-Jahren sich ganz stark von der in den 1920ern unterscheidet. WĂ€hrend Reich von dem Problem ausgeht, daĂ die Arbeiterjugend keinen Zugriff auf VerhĂŒtungsmittel hat, lernen die SchĂŒler_innen zu Foucaults Zeiten in der Schule den Umgang mit PrĂ€servativen. Vielleicht reflektiert die Theorie also einfach eine neue Ausgestaltung der Welt, eine Verschiebung des VerhĂ€ltnisses von Repression und produktiver Zurichtung.
Wie dieses VerhÀltnis heute aussieht und vor allem, wo Perspektiven zur VerÀnderung sind, wird der dritte Teil zur Diskussion stellen.