Auf der Eröffnungskungebung der Kampagne „Hände hoch, Haus her. Für ein selbstverwaltetes Zentrum in Erfurt.“ wurde folgender Redebeitrag der Gruppe „Wi(e)der die Natur“ gehalten:
Der historische Anlass des Christopher Street Day jährt sich in diesem Jahr zum 40. Mal. Dieser erinnert an den Beginn der homosexuellen Emanzipationsbewegung im Juni 1969, als es in New York fünf Tage lang zu Aufständen gegen staatliche Repression kam und Menschen, die bis dahin verschiedene Arten von Diskriminierungen erfahren mussten, sich erfolgreich gegen eine Kriminalisierung wehrten.
Der diesjährige Erfurter Christopher Street Day findet unter dem Motto „Wir bleiben alle“ statt. Wie schon in den vergangenen beiden Jahren solidarisieren wir uns mit den sozialpolitischen Bewegungen innerhalb des Bündnisses zum „Tag der Einheit der Menschen“. Und all jenen Projekten und Menschen, denen nicht zugehört wird und deren Interessen nicht durch parlamentarische Strukturen durchgesetzt werden. Dies ist angesichts der akuten Bedrohung und fortwährenden Zerstörung soziokultureller Räume und Projekte nötiger denn je!Im Juli 2008 beschloss der Erfurter Stadtrat beispielsweise eine Verschärfung der Stadtordnung mit dem Ziel, unliebsame Personen aus den Erfurter Innenstadtbereich zu verdrängen. Durchgesetzt mit Einsätzen der Polizei, die sich fast ausschließlich gegen Menschen richteten, die eben nicht ins biedere Stadtbild passen. So kam und kommt es des Öfteren zu Situationen, in denen Menschen festgehalten, ihre Ausweise kontrolliert, ihnen gegenüber Platzverweise ausgesprochen und „Ordnungswidrigkeiten“ festgestellt wurden und werden.
Obdachlose Menschen waren seit dem Inkrafttreten der „Ordnungsbehördlichen Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ im Mai 2003 schlichtweg verschwunden aus dem Bild der sauberen Erfurter Innenstadt.Jüngstes Beispiel für die Reinhaltungspolitik der Stadt ist die gewaltsame Räumung des Besetzten Hauses in Erfurt im April diesen Jahres. Ein Projekt, dass es eben auch Nicht-Heterosexuellen ermöglichte, sich in einem geschützten Raum zu bewegen. In dem es möglich war, angstfrei mit sexistischen Diskriminierungs- und Anmachversuchen umzugehen und auf homophoben und machistischen Dumpfsinn zu reagieren und sich abseits des heterosexistischen Mainstream auszuprobieren. Im Gegensatz zu den sonst vorhanden Nischen für sexuelle Minderheiten wurden dieses und andere damit zusammenhängende Projekte frei von Reduzierungen auf sexuelle Präferenzen gestaltet. Die Räumung des Besetzten Hauses war ein Ereignis, das sich einreiht in die lange Tradition deutschen Spießbürgertums, Ansätze alternativer Lebenskonzepte jenseits kapitalistischer Verwertungslogik anzugreifen.
Doch wir bleiben Alle! – Daran wird auch der Erfurter Oberbürgermeister nichts ändern können, der sich während seines opportunistischen Wahlkampfes (Klare Verhältnisse!) auf die Aussage zurückzog, alles für das Projekt Besetztes Haus getan zu haben. Wie Hohn klingt diese Äußerung vor dem Hintergrund, dass gerade mal ein (!) Ersatzobjekt angeboten wurde, dass aber für die Projekte des Hauses ungeeignet war. Daraufhin brach er die Verhandlungen ab und warf den BesetzerInnen Sturheit vor.
Hat OB Bausewein so schnell vergessen, dass er sich noch im letzten Jahr für die Demo und die Veranstaltungen im Rahmen des CSD bedankte, ausdrücklich auch bei den VeranstalterInnen des Besetzten Hauses?!?
Dass er bereits zum vierten Mal Schirmherr des CSD ist, vielleicht weil es sich weltoffen und tolerant anhört, er selbst aber noch auf keiner CSD-Veranstaltung gesichtet wurde?Wir wollen diese Erfahrung staatlicher Repression und politisch gewollten Verdrängens nicht tatenlos hinnehmen.
Auch werden wir uns nicht länger instrumentalisieren lassen, dieser Stadt einen Farbtupfer dadurch zu verleihen, dass wir demonstrieren dürfen. Wir stehen nicht für eine nach außen propagierte Vielfalt, während nach innen die Strukturen kommerzialisiert und Menschen zielgerichtet vertrieben werden.Wir brauchen Räume, in denen wir uns autonom bewegen können. Nicht nur städtisch geförderte Jugendclubs, kommerzielle Diskos oder Orte sogenannter Hochkultur.
Wir brauchen Räume, in denen Kritik an gesellschaftlichen Zuständen möglich ist, und zwar so, wie wir sie formulieren wollen.
Wir brauchen Räume, in denen eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Meinungen stattfindet und gemeinsam Positionen erarbeitet werden können.
Wir brauchen Räume, in denen wir uns wohlfühlen können und nicht als verwertbare Objekte wahrgenommen werden, über die entschieden werden muss.
Wir brauchen Räume, in denen Menschen Alternativen ausprobieren und leben können, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität.Wir Bleiben Alle!