Aufruf CSD Erfurt 2009

Forderungen zum diesjÀhrigen CSD

Wir Bleiben Alle!

Auch zum CSD Erfurt 2009

Der historische Anlass des Christopher Street Day (CSD) jĂ€hrt sich in diesem Jahr zum 40. Mal. Dieser erinnert an den Beginn der homosexuellen Emanzipationsbewegung im Juni 1969, als es in New York fĂŒnf Tage lang zu AufstĂ€nden gegen staatliche Repression kam und Menschen, die bis dahin verschiedene Arten von Diskriminierungen erfahren mussten, sich erfolgreich gegen eine legitimierte Kriminalisierung wehrten. Da sich seither die ZustĂ€nde bei genauer Betrachtung nur wenig verbessert haben, bleiben die Forderungen seitens der sich als alternativ handelnd verstehenden Teile dieser Bewegung bestehen. Jener Menschen, die sich nicht entmĂŒndigen ließen durch das prekĂ€re System von Lohnarbeit, der tĂ€glichen Erfahrung von Austauschbarkeit, der DemĂŒtigung und ZermĂŒrbung innerhalb politischer Strukturen und der EinschrĂ€nkung der Freiheit durch fortschreitende staatliche Überwachung und Aushöhlung rechtstaatlicher Prinzipien. Jener Menschen, die fordern:

Die Aufhebung von Verfolgung, Stigmatisierung und Benachteiligung von Menschen, die sich Strukturen schaffen, die nicht dem heteronormativen Bild entsprechen.

Wie schon in den vergangenen beiden Jahren solidarisieren wir uns mit den sozialpolitischen Bewegungen innerhalb des BĂŒndnisses zum „Tag der Einheit der Menschen“. Und all jenen Projekten und Menschen, denen nicht zugehört wird und deren Interessen nicht durch parlamentarische Strukturen durchgesetzt werden. Dies ist angesichts der akuten Bedrohung und fortwĂ€hrenden Zerstörung soziokultureller RĂ€ume und Projekte nötiger denn je!

JĂŒngstes Beispiel ist die gewaltsame RĂ€umung des Besetzten Hauses in Erfurt im April diesen Jahres. Ein Projekt, dass es eben auch Nicht-Heterosexuellen ermöglichte, sich in einem geschĂŒtzten Raum zu bewegen. In dem es möglich war, angstfrei mit sexistischen Diskriminierungs- und Anmachversuchen umzugehen und auf homophoben und machistischen Dumpfsinn zu reagieren und sich abseits des heterosexistischen Mainstream auszuprobieren. Im Gegensatz zu den sonst vorhanden Nischen fĂŒr sexuelle Minderheiten wurden dieses und andere damit zusammenhĂ€ngende Projekte frei von Reduzierungen auf sexuelle PrĂ€ferenzen gestaltet. Die RĂ€umung des Besetzten Hauses war ein Ereignis, das sich einreiht in die lange Tradition deutschen SpießbĂŒrgertums, AnsĂ€tze alternativer Lebenskonzepte jenseits kapitalistischer Verwertungslogik anzugreifen.

Doch wir bleiben Alle!

Daran wird auch der Erfurter OberbĂŒrgermeister nichts Ă€ndern können, der sich wĂ€hrend seines opportunistischen Wahlkampfes (Klare VerhĂ€ltnisse!) auf die Aussage zurĂŒckzog, alles fĂŒr das Projekt Besetztes Haus getan zu haben. Wie Hohn klingt diese Äußerung vor dem Hintergrund, dass gerade mal ein (!) Ersatzobjekt angeboten wurde, dass aber fĂŒr die Projekte des Hauses ungeeignet war. Daraufhin brach er die Verhandlungen ab und warf den BesetzerInnen Sturheit vor.

Hat OB Bausewein so schnell vergessen, dass er sich noch im letzten Jahr fĂŒr die Demo und die Veranstaltungen im Rahmen des CSD bedankte, ausdrĂŒcklich auch bei den VeranstalterInnen des Besetzten Hauses?!? Dass er bereits zum vierten Mal Schirmherr des CSD ist, vielleicht weil es sich weltoffen und tolerant anhört, er selbst aber noch auf keiner CSD-Veranstaltung gesichtet wurde?

Nach der RĂ€umung


Wir wollen diese Erfahrung staatlicher Repression und politisch gewollten VerdrÀngens nicht tatenlos hinnehmen.

Auch werden wir uns nicht lĂ€nger instrumentalisieren lassen, dieser Stadt einen Farbtupfer dadurch zu verleihen, dass wir demonstrieren dĂŒrfen. Wir stehen nicht fĂŒr eine nach außen propagierte Vielfalt, wĂ€hrend nach innen die Strukturen kommerzialisiert und Menschen zielgerichtet vertrieben werden.

…ist vor der RĂ€umung?

Wir brauchen RÀume, in denen wir uns autonom bewegen können. Nicht nur stÀdtisch geförderte Jugendclubs, kommerzielle Diskos oder Orte sogenannter Hochkultur.

Wir brauchen RÀume, in dem Kritik an gesellschaftlichen ZustÀnden möglich ist, und zwar so, wie wir sie formulieren wollen.

Wir brauchen RÀume, in denen eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Meinungen stattfindet und gemeinsam Kompromisse erarbeitet werden können.

Wir brauchen RĂ€ume, in denen wir uns wohlfĂŒhlen können und nicht als verwertbare Objekte wahrgenommen werden, ĂŒber die entschieden werden muss.

Wir brauchen RÀume, in denen Menschen Alternativen ausprobieren und leben können, unabhÀngig von ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen IdentitÀt.

Dieser (Frei)Raum wird uns in Erfurt mehr und mehr genommen. Nicht nur durch die RĂ€umung des Besetzten Hauses im April 2009. Auch durch eine VerschĂ€rfung der Stadtordnung im Juli 2008 mit dem Ziel, unliebsame Personen aus den Erfurter Innenstadtbereich zu verdrĂ€ngen. Durchgesetzt mit EinsĂ€tzen der Polizei, die sich fast ausschließlich gegen Menschen richteten, die eben nicht ins biedere Stadtbild passen. So kam und kommt es des Öfteren zu Situationen, in denen Menschen festgehalten, ihre Ausweise kontrolliert, ihnen gegenĂŒber Platzverweise ausgesprochen und „Ordnungswidrigkeiten“ festgestellt wurden und werden.

Obdachlose Menschen waren seit dem Inkrafttreten der „Ordnungsbehördlichen Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ im Mai 2003 schlichtweg verschwunden aus dem Bild der sauberen Erfurter Innenstadt.

Trotzdem: Wir Bleiben Alle!

Fazit?

In den vergangenen beiden Jahren haben wir zum CSD Forderungen aufgestellt, die sich an politische Strukturen von der Kommunal- bis hinauf zur Bundesebene richteten. Keine davon wurde bisher erfĂŒllt oder auch nur ansatzweise fĂŒr diskussionswĂŒrdig befunden.

Ein Beispiel fĂŒr die Ignoranz staatlicher Repressionsorgane ist die bisher noch immer unbeantwortete Anfrage an die ThĂŒringer Landesregierung, wie mit den virtuellen Rosa Listen verfahren wurde, nachdem 2005 deren Existenz bekannt wurde. Zur Erinnerung: Das interne elektronische Erfassungssystem der Landespolizei beinhaltete in lokalem Bezug auf TĂ€terInnen, Opfer und ZeugInnen auch die SchlĂŒsselnummern 901 fĂŒr den „Aufenthalt von Homosexuellen“ sowie 902 fĂŒr „Strichplatz“.

Ein weiteres Beispiel auf Bundesebene ist der Beschluss, dass eine EntschĂ€digung der nach 1945 gemĂ€ĂŸ §175 StGB strafrechtlich verfolgten Homosexuellen nicht stattfinden wird. BegrĂŒndet wurde diese Fehlentscheidung damit, dass der durch die Nazis nochmals verschĂ€rfte Straftatbestand geltendes Recht gewesen sei.

Ein anderes Beispiel ist die im letzten Jahr vollzogene VerschĂ€rfung des Nazi- Unzuchtsparagraphen §176 StGB, der wie der „allgemeine Jugendschutzparagraph“ §182 als Ersatz fĂŒr den 1994 lediglich pro forma abgeschafften §175 gesehen werden kann, wenn er unter dem Vorwand des Schutzes von Kindern vor sexueller Gewalt dazu missbraucht wird, junge Menschen vor homosexuellen „EinflĂŒssen“ zu „schĂŒtzen“. Denn das weiterhin bestehende gesellschaftliche Vorurteil lĂ€sst es als wahrscheinlich erscheinen, dass vorwiegend homosexuelle Menschen bzw. Beziehungen der Strafverfolgung ausgesetzt werden. So wurden etwa in Österreich, wo es einen analogen Ersatzparagraphen fĂŒr den Schwulenparagraphen § 208 gibt, amtlichen Statistiken zufolge fast ausschließlich homosexuelle Menschen danach verfolgt. Das dĂŒrfte kaum daran liegen, dass, wenn schon mit dem verfassungsrechtlich nicht haltbaren Konstrukt der ungestörten sexuellen Entwicklung ein Missbrauch konstruiert wird, dieser in heterosexuell organisierten Familienstrukturen nicht stattfindet.

Im Übrigen werden laut bundesweiter Polizeilicher Kriminalstatistik etwa 80 % der „Missbrauchs“-Anzeigen wegen ungerechtfertigten Vorwurfs fallen gelassen. Dass dies von den Medien jedoch zumeist verschwiegen wird, nĂ€hrt eine politisch durchaus willkommene Massenhysterisierung, die antidemokratische Politik verschleiern und legitimieren soll.

Eine tatsĂ€chliche Zuspitzung des Missbrauchs junger Menschen sehen wir in diesem Sinne darin, dass die Bundesregierung nunmehr unter dem Vorwand der BekĂ€mpfung von Kinderpornographie eine intensive Überwachung und Zensur des Internets sowie weitere EinschrĂ€nkungen der Presse- und Meinungsfreiheit ins Rollen bringt, nachdem der letzte Versuch vom Bundesverfassungsgericht vorerst verhindert wurde.

Aus diesen GrĂŒnden werden wir unsere Forderungen zum diesjĂ€hrigen CSD zwar erneut bestĂ€rken und ausweiten, diese aber nicht mehr an die politisch MĂ€chtigen richten, sondern an Euch, die Ihr mit uns demonstrieren werdet.

Also werdet kreativ in Euren Aktionen gegen die ZustĂ€nde des bĂŒrgerlichen, heterosexistischen Normalbetriebs!

‱ Gleichberechtigung aller Lebens- und Familienformen anstelle von Sondergesetzen fĂŒr Minderheiten

Auch wenn es noch immer Menschen gibt, die einen Ehevertrag schließen, selbst unter den UmstĂ€nden der Sondergesetzgebung Lebenspartnerschaftsgesetz, hat die privilegierte Stellung der Ehe nichts im Grundgesetz zu suchen. Vielmehr sollte es garantiert sein, normative Verbindlichkeiten mit Personen eingehen zu können, mit denen du das möchtest. Also auch mit mehreren, und zwar unabhĂ€ngig davon, in welcher Beziehung ihr zueinander steht. Im Prinzip sollen also Privilegien der Ehe abgeschafft werden, indem sie allen Menschen zugĂ€nglich werden.

Ebenso hat der Begriff der Familie aus dem Grundgesetz zu verschwinden, da dieser im allgemeinen Sprachgebrauch noch immer einer bĂŒrgerlich-konservativen Vorstellung entspricht. Andere Möglichkeiten, wo zum Beispiel fĂŒnf Menschen mit drei Kindern in Beziehung leben, sind eben auch relevant.

‱ Anerkennung im Nationalsozialismus aufgrund ihrer HomosexualitĂ€t verfolgter, gequĂ€lter und ermordeter Menschen als Opfer des Nationalsozialismus sowie deren Rehabilitierung und EntschĂ€digung

Im Nationalsozialismus wurde HomosexualitÀt systematisch stigmatisiert, die damalige Sexualforschung verboten, zerstört und negiert, Tausende in ZuchthÀusern und Konzentrationslagern gequÀlt, gefoltert und ermordet.

Unter den HĂ€ftlingen in Konzentrationslagern standen Homosexuelle, mit einem „Rosa Winkel“ gebranntmarkt, auf der untersten Stufe der „Hackordnung“ und wurden selbst von MithĂ€ftlingen gequĂ€lt. Sie wurden fĂŒr die hĂ€rtesten Strafarbeiten herangezogen und den hĂ€rtesten Folterungen ausgesetzt.

Durch die nach dem Ende des Nationalsozialismus fortgefĂŒhrte Kriminalisierung von Homosexuellen wurde ihnen die nationalsozialistische Verfolgung auch nach 1945 weiter zugemutet, anstatt sie wie andere Opfer des Nationalsozialismus anzuerkennen, zu rehabilitieren und zu entschĂ€digen. Bis heute sind wegen ihrer HomosexualitĂ€t im Nationalsozialismus verfolgte, gequĂ€lte, gefolterte und ermordete Menschen als einzige Opfergruppe immer noch nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt worden, noch sind sie rehabilitiert oder ansatzweise entschĂ€digt worden.

Wir fordern, dass die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus, sofern sie selbst keine TĂ€terInnen waren (!), nicht lĂ€nger totgeschwiegen werden, sondern als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt, rehabilitiert und entschĂ€digt werden und dass ihr Leiden in wĂŒrdiger und mahnender öffentlicher Erinnerung bleibt.

‱ Rehabilitierung und EntschĂ€digung aller in der BRD und in der DDR aufgrund ihrer HomosexualitĂ€t verurteilter Menschen

Im Nationalsozialismus wurde das Straf(un)recht gegen Homosexuelle 1935 verschÀrft, und die Nachkriegs- BRD behielt dieses im Nationalsozialismus verschÀrfte Unrecht gegen Homosexuelle noch 24 Jahre in ungeminderter Form bei. Erst 1969 und in einer zweiten Welle 1973 wurde es abgemindert und erst 1994 im Zuge der Rechtsangleichung nach dem deutschen Einigungsvertrag aufgehoben.

Die DDR kehrte 1950 zur alten Fassung (vor 1935) zurĂŒck. Ab Ende der 1950er Jahre wurde HomosexualitĂ€t unter Erwachsenen nicht mehr geahndet. 1968 erhielt die DDR ein eigenes Strafgesetzbuch, das in § 151 StGB-DDR homosexuelle Handlungen mit Jugendlichen sowohl fĂŒr Frauen als auch fĂŒr MĂ€nner unter Strafe stellte. 1988 wurde dieser Paragraph ersatzlos gestrichen.

Menschen, die in beiden deutschen Nachkriegsstaaten wegen ihrer homosexuellen Orientierung verurteilt worden sind, deren Lebensexistenz mit der unrechten Verurteilung zerstört worden ist, mĂŒssen rehabilitiert und entschĂ€digt werden. Es dĂŒrfen bei Behörden keine „Rosa Listen“ gefĂŒhrt werden, aus denen das Merkmal der sexuellen Orientierung ermittelbar ist. Die Behörden haben sicher zu stellen, dass dieses Merkmal nicht mehr erfasst wird und noch vorhandene derartige Daten umgehend gelöscht werden.

‱ AufklĂ€rung der Bevölkerung ĂŒber HomosexualitĂ€t und Homosexuellen-Verfolgung

HomosexualitĂ€t scheint mittlerweile kein Tabuthema mehr zu sein. Begleitet durch eine breitere mediale Zurschaustellung prominenter Homosexueller schlĂ€gt uns eine Welle der Toleranz entgegen. Doch greifen auch hier gĂ€ngige Klischees vom erfolgreichen, braven, gutbĂŒrgerlichen und so geduldeten Homosexuellen. Schlechte Homosexuelle sind hingegen diejenigen, welche eben nicht der idealisierten heterosexuellen Mononorm von Ehe und Familie folgen.

Damit reiht sich die aktuelle Betrachtung in eine bereits seit Jahrhunderten betonierte, abendlÀndisch geprÀgte Moralvorstellung ein, die jegliche Abweichungen von der Norm stigmatisiert, diskriminiert und zielgerichtet verfolgt.

Wir verlangen deshalb, dass Projekte gefördert werden, die ĂŒber die Verfolgung von Homosexuellen in der deutschen Geschichte aufklĂ€ren. DarĂŒber hinaus fordern wir die Förderung kultureller und kĂŒnstlerischer Projekte, die sich mit den Variationen sexuellen Lebens auseinandersetzen. Dabei sind diese Projekte allen Menschen unabhĂ€ngig von deren sexueller Orientierung und IdentitĂ€t gleichberechtigt und kostenlos zugĂ€nglich zu machen.

‱ Vorurteilsfreie pĂ€dagogische Konzepte, die nicht auf HeteronormativitĂ€t basieren, sondern die Vielfalt der Lebensweisen und sexuellen Orientierungen in den Bildungskatalog integrieren

Durch Texte und Bilder in SchulbĂŒchern lernen Kinder und Jugendliche nicht nur zu lesen, zu schreiben oder eine Matheaufgabe zu lösen. Ihnen wird immer auch ein Bild des gesellschaftlich akzeptierten bzw. gewĂŒnschten Rahmens ĂŒbermittelt. Wenn in einem Englisch-Lernheft die Mutter den Tisch deckt und das MĂ€dchen ihr hilft, wĂ€hrend der Vater von der Arbeit kommt, oder wenn in einem MatheĂŒbungsheft ein Junge ein MĂ€dchen fĂŒr 8,- € ins Kino einlĂ€dt, was dann von seinem Taschengeld abgezogen werden soll, so bringt das eben nicht nur die FĂ€higkeit hervor, auf englisch zu lesen oder Rechenaufgaben zu lösen. Gleichzeitig wird mit jedem Text und jedem Bild gezeigt, wie sich die Menschen wĂŒnschenswerter Weise zueinander in Beziehung setzen. Und die vielen tausend Bilder, die nicht gezeigt werden, hinterlassen eine LĂŒcke in den Vorstellungen der Heranwachsenden, wie sie ihr Leben und ihre Beziehungen gestalten könnten.

Es gibt keine Matheaufgabe, in der ein MÀdchen ein MÀdchen ins Kino einlÀdt und keinen Lesetext, in dem drei MÀnner zusammen mit ihren zwei Kindern den Abendbrotstisch decken.

HeterosexualitĂ€t und Kleinfamilie sind die einzigen Vorbilder, die in thĂŒringischem Lehrmaterial vorhanden sind. Es werden hierbei nicht nur homo-, bi- und andere sexuelle Orientierungen unsichtbar gemacht, sondern auch alle Lebens- und Beziehungsformen, die nicht der mononormativen Paarbeziehung mit Kinderwunsch entsprechen.

Um ein angst- und diskriminierungsfreies Leben außerhalb dieser momentanen Norm denk- und lebbar zu machen, ist es notwendig, zu zeigen, dass es diese gibt und dass sie – neben den bisherigen – als Vorbild- und Identifikationsfiguren zur VerfĂŒgung stehen. Wir fordern deshalb, dass im thĂŒringischen Lehrmaterial vielfĂ€ltige Lebens- und Familienformen einen Platz finden und nicht – wie bisher – totgeschwiegen werden.

‱ Vermittlung eines sozialen und pĂ€dagogischen Klimas an Bildungseinrichtungen, in dem LehrerInnen und SchĂŒlerInnen offen zu ihrer sexuellen Orientierung stehen können

Viele lesbische Lehrerinnen und schwule Lehrer wollen nicht, dass ihren KollegInnen, den SchĂŒlerInnen und deren Eltern bekannt wird, dass sie homosexuell sind, weil sie fĂŒrchten, dann von diesen gemieden oder in ihrer Arbeit boykottiert zu werden. VertrauenslehrerInnen sind oft ohnmĂ€chtig, SchĂŒlerInnen bei Coming-Out-Problemen oder homophober psychischer oder körperlicher Gewalt von MitschĂŒlerInnen zu helfen. Wir fordern, dass der Freistaat LehrerInnen dazu ausbildet, allen SchĂŒlerInnen situationsgerecht helfen zu können, einen umfassenden Diskriminierungsschutz im Schuldienst durch proaktive Weiterbildungsmaßnahmen fĂŒr die heterosexuellen KollegInnen homosexueller LehrerInnen durchzufĂŒhren, um LehrerInnen die Möglichkeit zu geben, auch am Arbeitsplatz frei von Diskriminierung und als Vorbild fĂŒr alle SchĂŒlerInnen selbstbestimmt leben zu können, weil dadurch auch die heterosexuellen SchĂŒlerInnen bereits in der Schule Akzeptanz und Respekt gegenĂŒber Minderheiten lernen können.

‱ Wiederaufnahme und Fortsetzung sachlicher sexualpolitischer Debatten (in Wissenschaft und Gesellschaft) ohne Populismus, die freie sexualwissenschaftliche Forschung ermöglichen und fördern und eine RĂŒckentwicklung zur Tabuisierung von SexualitĂ€t verhindern.

Durch das Fehlen sexualpolitischer Debatten und der damit fehlenden notwendigen Auseinandersetzung mit allen Details, Teilfragen und ZusammenhĂ€ngen entstehen ungeeignete und realitĂ€tsfremde Entscheidungen, wie zum Beispiel die an der zu schĂŒtzenden Jugend vorbeigehende VerschĂ€rfung des Jugendschutzes, der die zu SchĂŒtzenden in die IllegalitĂ€t drĂ€ngt, somit eigentlich zu vermeidenden Gefahren aussetzt, was deren Entwicklung erheblich schĂ€digen kann.

In den letzten Jahren wurden fast alle sexualwissenschaftlichen Einrichtungen und Institute geschlossen bzw. die sexualwissenschaftliche Forschung vollstĂ€ndig oder fast vollstĂ€ndig eingestellt. Dadurch fehlt auch in der Gesellschaft jede Grundlage fĂŒr sachliche und fundierte Debatten und der Gesellschaft nĂŒtzende Entscheidungen. Wir finden es daher notwendig, sexualwissenschaftliche Forschung wieder zu fördern und neu aufzubauen und sexualpolitische Debatten wieder aufzunehmen und sachlich und fundamentiert zu fĂŒhren.

‱ Diskriminierungsfreier Zugang zu den bestehenden medizinischen Möglichkeiten bei Kindeswunsch durch gleichberechtigte KostenĂŒbernahme durch die Krankenkassen

Wenn Kinderwunsch nur noch durch die kĂŒnstliche Befruchtung möglich ist, so werden die ersten drei Versuche zu 50% von den Krankenkassen getragen. Voraussetzung dafĂŒr ist jedoch, dass die werdenden Eltern heterosexuell und verheiratet sind. Alleinstehende Frauen und lesbische Paare mit Kinderwunsch werden nicht von den Krankenkassen unterstĂŒtzt.

Diese einseitige Förderung verstĂ¶ĂŸt nicht nur gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes, sondern spricht zudem unehelichen Kindern das Recht auf Leben ab, da deren kĂŒnstliche Zeugung nicht bezuschusst wird, und verstĂ¶ĂŸt damit auch gegen das Gebot, ihnen die gleichen Entwicklungschancen zu eröffnen wie ehelichen Kindern. Wir fordern daher, dass alleinstehende Frauen, lesbische Paare und Frauen in anderen Beziehungsstrukturen genauso bei Versuchen zur Nachwuchszeugung durch kĂŒnstliche Befruchtung unterstĂŒtzt werden.

‱ Gleichberechtigter Zugang aller Menschen zur Adoption

Adoptieren können in Deutschland laut Gesetz sowohl Ehepaare als auch Alleinerziehende. Allerdings werden in der Adoptions-Praxis heterosexuelle Ehepaare vorgezogen. Alleinstehende kommen fĂŒr die Adoption nicht in Frage. Die Ehe wird vorausgesetzt, obwohl das gesetzlich nicht vorgesehen ist.

Gleichgeschlechtliche LebenspartnerInnen dĂŒrfen seit 2004 zwar adoptieren, aber nur, wenn einer der beiden PartnerInnen der leibliche Elternteil ist. Die gemeinsame Adoption ist fĂŒr LebenspartnerInnen ausgeschlossen.

Die Anzahl von Adoptionen hat sich in den letzten 15 Jahren halbiert. Im Gegensatz dazu bleibt vielen der Kinderwunsch verwehrt, wÀhrend Kindern der Weg in andere Beziehungsstrukturen verwehrt wird, weil Gesetz und Praxis im Adoptionsrecht sexuelle Minderheiten diskriminieren.

Deshalb fordern wir, dass Menschen, die fĂŒr Kinder sorgen wollen, weder durch Gesetz noch durch Praxis die Möglichkeit zur Adoption verwehrt wird.