Yaaaaaawn!

Die Polyfantasiatage 2011 sind vorüber und wir sind fertig. Zwei Wochen Vorträge, Party, Filmabend und Rumgehänge mit wenig Schlaf und vielen Diskussionen. Jetzt müssen wir uns erholen.

Wir danken allen Teilnehmer_innen, Referent_innen, Künstler_innen, Kooperationspartner_innen und allen anderen, die zum Gelingen der Veranstaltungen beigetragen haben, als da wären Obstanton, die Kampagne „Hände hoch – Haus her“, fr.JPLA, Lann Hornscheidt, die Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen, das Bildungskollektiv Biko, Lea Legrand, das Veto und der Infoladen Sabotnik, Heinz Jürgen Voß, The blue screen of death, Antje Wagner, das Jubi-Netzwerk der RLS, Anna Kow, der Bauwagenplatz und viele andere.

Was wir dieses Jahr vergessen haben, immer mal zu sagen: Wir sind eine offene Gruppe. Wer an widernatürlicher (Anti)politik interessiert ist, kann sich gerne mal mit uns treffen.

Und extra für die Leute, die immer wieder über bestimmte Suchmaschinen-Anfragen auf diese Seite kommen:

  • „Sexuelle Energie in produktive Energie“ — Nein, kann man nicht einfach umwandeln, dann geht der Orgonakkumulator kaputt. Der Energieerhaltungssatz gilt nicht für diese Art von Energie. Zur Kritik an Wilhelm Reich geht’s hier lang.
  • „Wann kommt der Papst nach Erfurt?“ – am 23. und 24. September.

Morgen: Kritik der Polyamorie schon um 18.30!

Nochmal möchten wir darauf hinweisen, dass der Workshop zur Kritik der Polyamorie am Mittwoch (13.7.) schon um 18.30 Uhr beginnt, nicht um 20 Uhr wie verschiedentlich beworben.

Heute (12.7.) gibt es ab 20 Uhr einen queeren Filmabend. Mit Snacks. Und Kuchen.

Die Veranstaltungen der letzten Tage wurden mitgeschnitten und werden in den nächsten Tagen und Wochen hier online gestellt oder bei den Chillygays gesendet.

11.7. 20 Uhr, BDSM und Feminismus

Feminismus und Sexualität verbindet eine eher sprunghafte Beziehung voller Missverständnisse. Der radikale Feminismus der 1970er hat Sexualität vor allem als patriarchales Machtinstrument kritisiert. 30 Jahre später diskutieren Aktivist_innen die Potentiale queerer Pornographie und fordern „Schwänze für Alle“. Anna Kow stellt das widersprüchliche Verhältnis dar und plädiert für einen sex-positiven Feminismus, der sich BDSM als subversive Praxis kritisch aneignet. Dass gleichwohl der sexistische Normalzustand anzuprangern ist – und demzufolge kein queerer Freifahrtschein für Heterosexismus zu erwarten ist – sollte klar sein.

Die Veranstaltung findet im veto, Trommsdorffstraße 5 (Eingang in der Weißfrauengasse), Erfurt, im Rahmen der Polyfantsiatage 2011 statt und ist eine Kooperationsveranstaltung der Gruppe widerdienatur mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Bildungskollektiv Biko.

Polyfantasiaveto eingerichtet, erste Veranstaltung durch

Nach einigem Geräume und Gedekoriere ist das Veto in der Trommsdorffstraße in Erfurt einigermaßen polyfantastisch geworden, sodas heute die erste Veranstaltung der Polyfantasiawoche 2011 stattfinden konnte: Lann Hornscheidt sprach vor 25 Menschen über nonverbale Kommunikation und Geschlecht.

Was die Anzahl der Bes_ucher_innen angeht, sind also noch Kapazitäten frei.

Hinweisen müssen wir noch darauf, dass die Veranstaltung zu BDSM und Feminismus am 11.7. stattfindet (und nicht am 9.7. wie verschiedentlich angekündigt) und dass der Workshop zur Kritik der Polyamorie am 13.7. schon um 18.30 Uhr beginnt (und nicht wie in unseren Flyern fälschlicherweise angegeben um 20 Uhr)

Um am Freitag aus Jena zum Polyfantasiaball zu kommen, gibt es die Möglichkeit, im Anschluss an die Biko-Veranstaltung „Das Verhältnis von kritischer Theorie und Praxis im Spannungsfeld von Ideologie, Organisation und Alltag“ (08.07.2011, Campus Uni Jena, Raum 221, 19 Uhr) gemeinsam nach Erfurt zu fahren.

Und so sieht’s aus:

Veranstaltungsprogramm gegen den Papstbesuch in Erfurt

Im September kommt der Papst nach Erfurt. Die Erfurterinnen und Erfurter sind darüber sauer. Sie wollen keinen alten Mann, der ihnen vorschreibt, wie sie zu leben haben. Deswegen haben wir gemeinsam mit den großen Parteien und Interessenverbänden aus Erfurt und Thüringen ein Bündnis gegen den Papstbesuch geschmiedet, das virtuell auf der Seite http://papst.abschaffen.com residiert. Nach Beschluss des Vorbereitungskomitees werden in den nächsten Monaten die folgenden Infoveranstaltungen stattfinden:
29.07., 19 Uhr, Radio Frei (Gotthardtstraße, Erfurt)
Der klerikale Panzergeneral und sein Trupp. Die braunen Seilschaften Joseph Ratzingers und der katholischen Kirche
mit NEA (Berlin), danach Soli-Party

25.08., 20 Uhr veto (Trommsdorfstraße/Weißfrauengasse, Erfurt)
Die katholische Kirche als Hort, Überbringerin und Aufrechterhalterin strukturell patriarchaler HERRschaftsverhältnisse
mit Ulrike Kroiß

08.09. , 20.00 Uhr, Radio FREI (Gotthardtstr. 21, Erfurt)
Die Rolle der katholischen Kirche bei der Kolonialisierung Lateinamerikas
mit Bernd Löffler

16.09., 19 Uhr, Radio FREI (Erfurt, Gotthardtstraße)
Wer leichter glaubt, wird schwerer klug
mit Philipp Möller (Giordano-Bruno-Stiftung)

genaueres zu den Veranstaltungen hier

Nächste Woche gehts los – Polyfantasiatage

Nächste Woche Dienstag (5.7.) beginnen die diesjährigen Polyfantasiatage in Erfurt. Um 20 Uhr findet die erste Veranstaltung „Nonverbale Kommunikation und Geschlecht“mit Lann Hornscheidt im veto statt.
Für den Polyfantasiaball am Freitag, dem 8.7. steht mittlerweile auch das musikalische Programm fest:
The blue screen of death – electropunk.göttingen
Lea Legrand – electroglitzerclash.halle
fr.JPLA – techhouse.leipzig
Obstanton – vegetable electronics.erfurt)

Polyphantasiatage 5.7.-15.7.2011, Erfurt

Zum dritten Mal wird die Gruppe wi(e)derdienatur zusammen mit dem Biko, dem DGB-Bilgungswerk Thüringen und vielen Kooperationspartner_innen zwei Wochen lang Geschlecht, Begehren und Sexualität zum Thema machen. Die Polyphantasiatage sind eine Mischung aus Diskussion, Wissensvermittlung, Party, Praxis und Kultur. Ein Raum zum Treffen, Diskutieren, Austauschen, Rumhängen und Feiern. Ein Raum für Queers, Trans-Menschen, Schlampen, Terrortunten und Lesbischwuteros. Ein Raum mit Respekt für Differenzen und unnormale Vorlieben. Wer das akzeptiert, ist willkommen.
Dieses Jahr geht es konkret um nonverbale geschlechtsspezifische Kommunikation, Sex-positiven-Feminismus und die Dekonstruktion des biologischen Geschlechts. Es gibt weiter eine Lesung, einen queeren Filmabend und einen Workshop zur Kritik der Polyamorie.

Programm:
5.7., 20 Uhr: Vortrag – Nonverbale Kommunikation und Geschlecht
11.7., 20 Uhr: Vortrag – BDSM und Feminismus
13.7., 18.30 Uhr: Workshop – Kritik der Polyamorie
14.7., 20 Uhr: Vortrag – Biologisches Geschlecht und Dekonstruktion

Veranstaltungsort ist das veto, in der Trommsdorffstraße 5, Erfurt.
Für Besucher_innen mit langem Anreiseweg können wir Schlafplätze vermitteln.

18.5.2011, Jena: Forschungsreisen in Nicht-Monogames Gelände & Doku-Film über Schlampenau

Von http://www.idaho-jena.de/workshops/idaho-jena-2011-workshop-polyamorie-mi-18-mai:

Welche Freuden und Schrecken lauern und locken, wenn Beziehungen nicht nach dem vorherrschenden Modell der Romantischen Zweierbeziehung gelebt werden, wenn nicht das binäre Prinzip des „entweder-oder“ zugrunde gelegt wird? Welche Formen können Beziehungen dann annehmen? Welche Namen können sie tragen? Was hilft dabei, sich in diesem unbekannten Gelände zu bewegen? Welche gesellschaftlichen Strukturen sind hinderlich für die freie Entfaltung der vielfältigsten Beziehungsformen? Wie finden sich welche, die sich mit mir auf diese Abenteuer einlassen?

Wir stellen die Ideen der Schlampagne aus Deutschland und der Polyamory aus den USA vor. Außerdem erzählen wir von unseren eigenen Erfahrungen mit alternativen Beziehungsformen. Wir laden Euch ein zu theoretischer, spielerischer und experimenteller Beziehungsforschung. Außerdem wird die kurze Doku über „Schlampenau“, ein Sommercamp zu alternativen Beziehungsformen, gezeigt.

TA: Papst kommt in der Tat nach Erfurt

Wie die Thüringer Landeszeitung berichtet, wird der Papst im Herbst in der Tat direkt die Stadt Erfurt besuchen. Der Papst kommt also wirklich, aber wir sind wirklich schon da und glauben immer noch nicht,
… dass man in die Hölle kommt, wenn man Spaß beim Sex hat,
… dass die Juden treulos und irregeleitet sind,
… dass Frauen sich um Herd und Bett kümmern sollen,
… dass der Chef vom weltgrößten Männerbund ein Vorbild ist…
Also: September vormerken für antiklerikalen Protest, nächste Vorbereitungstreffen am 21.3., 20 Uhr.

Der Papst kommt

Der Papst kommt im September nach Erfurt. Aber der Besuch wird nicht ohne Widerstand ablaufen. Das Rosa Spaghettimonster hat Protest angekündigt:

Vorbereitungstreffen am 8.2.2011, 18 Uhr.

„Was kann verführerischer sein als sinnliche Lippen?“ oder „Angriff der Terrortunten“

„Auf allen Ebenen / Mit allen Mitteln“ wollte die Antifa in Leipzig am 16.10.2010 vorgehen und das sieht man auch: Zu den Mitteln gehört der Rückgriff auf sexistische Stereotype.

Ein voller roter Mund als Symbol weiblicher Begehrlichkeit soll Heteromänner in den antifaschistischen Kampf locken. Wie man schon im Film „Blutige Erdbeeren“ sehen kann, ist Sexyness ein wichtiger Faktor für den Erfolg politischer Bewegungen. Und sexy — also sexuellen Erfolg verheißend — ist die Bildsprache der Mobilisierung gegen den Naziaufmarsch: Man sieht ein Gesicht mit der samtweichen und ebenmäßigen Haut, die es nur in der Werbung gibt. Die Zunge leckt die glänzenden Lippen. Die Darstellung endet unter den Augen und über den Brüsten. Ohne Brüste ist das Objekt der Verheißung nicht gar zu platt als Sexobjekt gezeichnet, durch die fehlenden Augen ist ihm die Möglichkeit genommen, dem Männerblick etwas zu entgegnen.

Wer Dekonstruktion nicht verstanden hat, kann die Verantwortung für die Dekodierung der kulturellen Grammatik den Betrachtenden zuschreiben und behaupten, es handele sich gar nicht um eine Frau, die hier für Männerblicke posiere. Dabei wiurd so getan, als sei das entscheidende für eine geschlechtliche Darstellung eine Bezugnahme auf eindeutige körperliche Merkmale. Die fällt aber bei einer Werbedarstellung von vornherein weg und ist auch im Alltag fast immer bedeutungslos. Wer erkennbar als geschlechtliches Subjekt auftritt, wird auch als solches erkannt und reproduziert die darin liegende Geschlechterordnung. Insofern können wir sehr wohl annehmen, daß in einer hochgradig weibliche Performance sehr wohl auch eine Frau erkannt wird. Die angedeutete Vampir-Symbolik ändert daran höchstens, daß die versprochene Sexualität einen noch etwas verruchteren Touch bekommt, als sie durch die knallroten Lippen sowieso schon hat. Daß hier auch nur ein Nazi Angst bekommen könnte, daß sich eine Demonstrantin die Hassi vom Kopf reißt und ihn in den Hals beißt, halten wir für ausgeschlossen. Allenfalls bietet sich ihnen die Zote an, von dieser Antifaschistin auch mal gerne gebissen zu werden.

Der zweite Aufkleber kommt aus dem Umfeld der dänischen Gruppe „Queer Jihad“. Er verspricht, daß in dieser Straße 17 Homosexuelle wohnen. Auch hier leckt sich jemand die Lippen ob dieser Verheißung. Aber das Gesicht wirkt verstörend. Es performiert im Grunde die selbe Symbolik wie bei der Antifa, die Darstellung ist aber gebrochen. Die Elemente von Sexyness werden durch Verstöße gegen kulturelle Regeln für begehrenswerte Weiblichkeit (vor allem reine Haut und ebenmäßige Zähne) ergänzt. Dadurch wird die Darstellung verqueert und die kulturelle Grammatik gebrochen. Das Bild ist bedrohlich für die Geschlechterordnung. Es zielt auf eine queere, die Sterotypen brechende und dadurch bedrohliche Sexualität. Wirkt der erste Aufkleber durch ein leicht zu dekodierendes Versprechen, lässt der Zweite die Betrachter_innen mit vielen Fragen zurück: Was für ein Geschlecht hat die Person? Wie ist ihr Begehren? Was passiert, wenn sie zubeißt? Wartet sie vielleicht in dieser Straße auf vorbeigehende Heterosexuelle, um sie zu beißen? Sind es am Ende 17 Terrortunten, die in dieser Straße nur darauf warten, die Vanilla-Welt der heterosexuellen Ordnung zu zerstören und ihre Träger_innen mit extrem schlechten Zähnen zu beißen?

Die 17 Homosexuellen sind nicht berechenbar. Ihre Bildsprache bedroht die Normalität. Wäre nicht genau das auch ein Element antifaschistischen Engagements? Im Grunde schon, aber die Zielgruppe der schönen, chicen, bei Globetrotter ausgestatteten Jugendlichen lässt sich augenscheinlich besser mit sexy Männerphantasien auf die Straße locken als mit verstörenden Botschaften.

Schlampiger Dokufilm


Alles über der Dokumentarfilm „Schlampenau, eine schlampolygarchutopie“:

2007 fand das erste „Ferien in Schlampenau, Sommercamp für unnatürliche Frauen“ statt, dass inzwischen zu einer jährlichen Veranstaltung geworden ist.

„Auch unnatürliche Frauen brauchen Erholung“, stand in der Ankündigung, „einfach Zeit mit anderen Schlampen verbringen, fernab der Heteronormativität, um Erfahrungen auszutauschen, Utopien zu diskutieren oder gemeinsam eine neue Beziehungskultur zu entwickeln.“

Vier Teilnehmerinnen sprechen über Polyamorie, das Sommercamp, Feminismus, Queer Identitäten und ihre Träume für die Zukunft.

Dieser do-it-yourself (and no budget) Dokumentarfilm zeigt einen Kampfgeist gegen die Entfremdung in einer Gesellschaft wo immer missverstanden oder unterdrückt wird, wenn man eine Frau, polyamorös, Feministin, queer oder transgender ist. Das Camp erscheint als ein Ort der Zusammengehörigkeit, der Freiheit, des Austausches und für Spass.

[weiter auf http://polygarchutopia.blogspot.com/]

Sexualität und Kapitalismus III

Der dritte Teil unserer Reihe zu „Sexualität und Kapitalismus“ ist noch während der Polyfantasiawoche im Spätsommer entstanden und wurde in den letzten Tagen im neuen hEFt veröffentlicht. Hier und hier sind die ersten beiden Teile. Widerdienatur schläft gerade, um sich von der anstrengenden Woche zu erholen.

sexualität und kapitalismus: ja watt denn nu?

Erzähler_in1: In den vorherigen beiden Ausgaben des hEFts hat die Gruppe wi(e)derdienatur vor allem dargestellt, wie die Verbindung von Sexualität und Kapitalismus nach Ansicht bestimmter Theoretiker_innen sein sollte – was noch nicht viel darüber aussagt, wie die Subjekte diese Verhältnisse erfahren. Oft halten sich die Menschen nicht an theoretische Vorgaben. Der letzte Text der Reihe dokumentiert ein nie stattgefundenes Gespräch zwischen zwei Menschen der Gruppe und einigen, die sich Anfang September bei einem Workshop zum Thema getroffen haben.

Apfel: In unseren letzten beiden Texten haben wir zwei verschiedene Theoriestränge vorgestellt, die einen Zusammenhang von Sexualität und Kapitalismus herstellen. Die Vertreter_innen der Repressionshypothese gehen davon aus, daß der Kapitalismus Sexualität unterdrückt. In dieser Vorstellung steht die rationale Organisation der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft einem Prinzip der Lust und sinnlichen Erfüllung entgegen. Dann haben wir uns mit einer entgegengesetzten Theorie beschäftigt, die meint, daß der Kapitalismus bzw. die Moderne Sexualität nicht unterdrückt, sondern überhaupt erst hervorbringt. Hier ist auch weniger von Verboten die Rede als viel mehr von Anreizen – eine Sexualität zu haben und an diese eine Identität zu knüpfen, wird in der Moderne zur Voraussetzung dafür, an der Gesellschaft teilnehmen zu können. Anhand der Unterscheidung und Kennzeichnung von verschiedenen sexuellen Identitäten strukturiert sich nach dieser Theorie die Gesellschaft – aber auch das stellt sich eher zum Nachteil der Individuen heraus.

Mirabelle: In unserem letzten Text deuteten wir an, daß es eine historische Verschiebung von einem repressiven hin zu einem ermutigenden Umgang mit Sexualität gegeben hat. Es spricht einiges für diese Behauptung. Egal, ob Sexualität von der Moderne erst produziert wird oder nicht – als die kapitalistischen Verhältnisse hergestellt wurden, gab es die Vorstellung, daß Sexualität etwas Bedrohliches wäre und mit dieser Vorstellung wurde Politik, repressive Politik betrieben. Als diese Verhältnisse dann aber etabliert waren, wich die Angst vor dem Sex und er erhielt Einzug in alle Bereiche der Gesellschaft. Was ließe sich daraus folgern? Zum einen ist denkbar, daß sich die Repression mittlerweile so effektiv in die Subjekte eingeschrieben hat, daß sich ihre Inhalte wie von selbst reproduzieren und kein Druck mehr nötig ist. Andererseits könnte man sagen, daß zum aktuellen Stadium des Kapitalismus eine repressive Triebstruktur einfach nicht mehr paßt, weil die postfordistische Produktionsweise sehr stark auf Kreativität, Einfühlungsvermögen und Flexibilität setzt. Anders gesagt, am Fließband braucht man triebgehemmte Subjekte, während die Projektarbeit eher kreative braucht. Im zweiten Punkt liegt schon ein Einwand gegen die These der historischen Verschiebung: Ist die Frage von Repression und Produktion von Sexualität vielleicht genau wie die Frage Projektarbeit oder Fließband eine Frage von Milieus? Und wenn man schon bei sozialer Ungleichheit ist: Ist es nicht so, daß in den Zentren Fortpflanzung gefördert wird, während derselbe Staat Geburtenkontrolle nach Afrika exportiert? Ist die Frage Repression/Produktion also nicht eher eine Frage von Herkunft, Milieu und politischem System, mit anderen Worten von Rasse, Klasse, Nation?

Birne: Wenn ich von einer historischen Entwicklung von einem repressiven hin zu einem gestaltenden Umgang mit Sexualität ausgehe, sollte klar sein, daß es sich hier nicht um eine lineare Entwicklung handelt. Abhängig von den Faktoren, die du genannt hast – Rasse, Klasse, Nation – gibt es Brüche, Unterschiede und Ungleichzeitigkeiten. Trotzdem würde ich den historischen Unterschied nicht leugnen – oder ist das vorstellbar: Onanieverbot für Fabrikarbeiter und Hartz-IV-Empfänger, während die Projekte-Party-Subjekte der Mittelschicht munter sexuell sein dürfen? Und so rassistisch und postkolonial der »Export der Geburtenkontrolle« auch ist – sind es wirklich Prüderie und repressive Sexualmoral, die hier exportiert werden? Die Aufklärungsprogramme, die dort gefahren werden, zielen doch darauf, daß über Sexualität geredet werden soll – die Voraussetzung für eine Etablierung des »guten Sex« und damit für Bio-Politik – die natürlich auch rassistisch sein kann. Ich würde also dabei bleiben, daß es heute mehr Ermutigung gibt und weniger Repression.

Obstsalat: Wir finden auch, daß heute ganz viel über Anreizstrukturen läuft. Es gibt z.B. einen üblen Leistungsdruck im Sexleben. Es gibt ein medial präsentes Ich-Ideal der ständigen sexuellen Leistungsbereitschaft. Wir werden die ganze Zeit gedrängt, diesem Ideal zu entsprechen, wobei dazu zunehmend auch Hilfsmittel erlaubt sind, die vor 10 Jahren noch verrucht und verboten waren. »Du sollst«, ist das Credo, es gibt keine direkte Strafe für die Verweigerung. Sicherlich hat diese Norm je nach Klasse oder Milieu, Herkunft, Alter, Geschlecht und anderen Strukturen besondere Ausprägungen, sie läßt sich aber insofern generalisieren, daß sie für den größten Teil der Bevölkerung gilt.

Birne: Wobei dieses ständige Drängeln zum »guten Sex« im Ganzen schon wieder repressive Züge trägt, weil die Möglichkeit zum Glück unterdrückt wird – denn wer ist schon glücklich mit dem, was in unserer Gesellschaft als »guter Sex« angepriesen wird.

Siebenkräuter: Aber was Du ansprichst, ist schon eine andere Repression als die der Repressionshypothese, die ja davon ausgeht, daß eine ursprünglich vorhandene Sexualität unterdrückt wird. Und diese Unterdrückung gibt es durchaus auch noch, gerade in der Erziehung. Es passiert z.B., daß Kindern der Umgang mit gleichgeschlechtlichen Freund_innen verboten wird, weil die Eltern fürchten, daß sich Homosexualität entwickeln könnte. Da wird also schon kindliche Sexualität unterdrückt – allerdings eben eine ganz bestimmte Sexualität, nämlich die homosexuelle. Gleichzeitig gibt es eine starke Anreizstruktur in Bezug auf heterosexuelles Begehren: Fast jede_r wurde als Teenie befragt, ob es schon Kontakte zum anderen Geschlecht gibt. Repression und Ermutigung gehen hier Hand in Hand mit demselben Ziel, der Erzeugung einer angepaßten und sozialverträglichen (Hetero-)Sexualität. Und das paßt auch auf ein anderes typisches Feld für das Erlernen sexueller Spielregeln: die Disco. Zum einen wird ganz stark erwartet, daß man sich dem anderen Geschlecht zuwendet, zum anderen gibt es immer noch ganz handfesten Gegenwind, wenn man offen schwul oder lesbisch auftritt. Zumindest ist das in Erfurt so.

Pfannengemüse: Und die Förderung der Heterosexualität hat dann wieder viel mit Ökonomie zu tun. Paarbeziehungen sind schon ein wichtiger Ort für die Reproduktion des Systems, nicht nur am einzelnen Menschen, sondern auch für die Erzeugung neuer Menschen und die Weitergabe von Normen an die nächste Generation. Andererseits ist auch Homosexualität gut nutzbar für Systeminteressen. Vielfalt wird heute als kulturelles Kapital gehandelt. Es ist kein Wunder, daß der Oberbürgermeister die Schirmherrschaft über den Christopher- Street-Day übernimmt. Eine weltoffene Stadt hat ökonomisch bessere Karten als eine kleinkarierte. Daß das in Erfurt noch nicht in allen Etagen angekommen ist, könnte auf die angesprochenen Ungleichzeitigkeiten hindeuten: Oben hat man ein Interesse, Homosexualität für den Standort zu nutzen. Man hofft wahrscheinlich auf eine schwulen Karnevalsumzug wie in Köln oder Berlin und fördert entsprechende Bestrebungen. Weiter unten, bei der Polizei und beim Ordnungsamt, fürchtet man immer noch um die abendländische Kultur und geht entsprechend repressiv mit dem CSD um.

Apfel: Sagen wir also, daß es schon eine historische Tendenz von der Repression hin zur Ermutigung gibt, die aber durch einige Faktoren relativiert wird: Repression und Ermutigung gehen oft Hand in Hand. Abseitige Sexualität wird eher repressiv behandelt als normale. Sowohl Repression als auch Anreizstrukturen funktionieren anders je nach Klasse, Ort, Milieu, Geschlecht, Herkunft, etc. Und wir diskutieren daran weiter.

Werbesprecher_in aus dem Off: Wie gesagt, dieses Gespräch hat nie stattgefunden. Wer weiter mit wi(e)derdienatur an der Frage arbeiten möchte, kann sich an widerdienatur@arranca.de wenden.

  1. Wir benutzen den Unterstrich, um auszudrücken, daß es mehr Geschlechter als Männer und Frauen gibt. Der Unterstrich markiert eine sprachliche Lücke, die normalerweise uneindeutige oder nicht stabile Geschlechter unsichtbar macht. [zurück]

Veranstaltungshinweis: Zwei mal Schlamperei in Leipzig

29.September 19h in Leipzig
Lesung: Forschungsreisen in nichtmonogames Gelände
Die Mitherausgeberin Gwendolin liest aus der neuesten Nummer des feministischen Zine „DIE KRAKE. Künstliche Beziehungen für unnatürliche Frauen“. Dieses Mal widmet sich das „Schundblatt für die postmoderne Schlampe“ dem brennenden Thema „Über das Durchlavieren zwischen monogamen Sehnsüchten und schlampigen Begierden“. Mit anschliesendem Gespräch…. und Überraschung.

Film: Die Träumer
Der junge Amerikaner Mathew lernt im Paris der 1968er Jahre die Zwillinge Isabelle und Theo kennen, die seine Leidenschaft fürs Kino teilen. Da deren Eltern gerade verreist sind, laden sie Mathew zu sich ein, und aus einem harmlosen Filmquiz entwickelt sich eine seltsame ménage à trois, während draussen die 68er studenten revoltieren.

Im Atari, Kippenbergstr. 20, 04317 Leipzig, www.bildet-laeden.de

Sonntag, 17.10.2009, 13.00 Uhr auf dem LeipzigerLesbenTreffen
Lesbisches BeziehungsVielerlei
Lesbische Kurzfilme zu lesbischen Lebens- und Liebesweisen u.a. mit „Schlampenau, eine Schlampolygarchutopie“
Ein Dokumentarfilm von Ann Antidote und Roderick, D 2010, 18min.
2007 fand das erste „Ferien in Schlampenau. Sommercamp für unnatürliche Frauen“ statt, dass inzwischen zu einer jährlichen Veranstaltung wurde. Vier Teilnehmerinnen sprechen über Polyamorie, das Sommercamp, queer zu sein und ihre Zukunft. Dieser No-Budget-Film zeigt Kampfgeist gegen die Entfremdung in dieser Gesellschaft, in der missverstanden und unterdrückt wird, wenn mensch polyamorös, queer, eine Frau, Feministin oder Transgender ist.
Frauenkultur, Eintritt: frei

vorher: Brunch -> siehe Programm des LeipzigerLesbenTreffens!
infos und bestellungen zum film: http://polygarchutopia.blogspot.com/

Bilder vom Polyfantasiaball


Vorher…


Nachher…


Beim Aufbau…


Von vorne…


Klavier zum Einlass…



Hmmm…

Danke nochmal allen, die die Polyfantasiawoche möglich gemacht haben und vegane Burger, Theorie, Geld, Musik, Hilfe bei der Deko und beim Aufräumen, Filme, Diskussionsbeiträge und noch viel mehr eingebracht haben, als da wären unter anderem Monotekktoni, Antke Engel, Eve Massacre, Phonatic, Gwendolin Altenhöfer, Fliegvogelflieg, die Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen, Amata Schneider-Ludorff, das RLS-Jubi-Netzwerk, der Johannesstraße 151, das Bildungskollektiv Biko, die Klavierrunde, die Offene Arbeit Erfurt (vor allem Ihr-wisst-schon-wer) , die Unbekannte, die den Beamer gerettet hat, die Leute, die beim Einkaufen und Vorbereiten geholfen haben und die KücheFürAlle vom B-Haus.