Schlampiger Dokufilm


Alles über der Dokumentarfilm „Schlampenau, eine schlampolygarchutopie“:

2007 fand das erste „Ferien in Schlampenau, Sommercamp für unnatürliche Frauen“ statt, dass inzwischen zu einer jährlichen Veranstaltung geworden ist.

„Auch unnatürliche Frauen brauchen Erholung“, stand in der Ankündigung, „einfach Zeit mit anderen Schlampen verbringen, fernab der Heteronormativität, um Erfahrungen auszutauschen, Utopien zu diskutieren oder gemeinsam eine neue Beziehungskultur zu entwickeln.“

Vier Teilnehmerinnen sprechen über Polyamorie, das Sommercamp, Feminismus, Queer Identitäten und ihre Träume für die Zukunft.

Dieser do-it-yourself (and no budget) Dokumentarfilm zeigt einen Kampfgeist gegen die Entfremdung in einer Gesellschaft wo immer missverstanden oder unterdrückt wird, wenn man eine Frau, polyamorös, Feministin, queer oder transgender ist. Das Camp erscheint als ein Ort der Zusammengehörigkeit, der Freiheit, des Austausches und für Spass.

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Sexualität und Kapitalismus III

Der dritte Teil unserer Reihe zu „Sexualität und Kapitalismus“ ist noch während der Polyfantasiawoche im Spätsommer entstanden und wurde in den letzten Tagen im neuen hEFt veröffentlicht. Hier und hier sind die ersten beiden Teile. Widerdienatur schläft gerade, um sich von der anstrengenden Woche zu erholen.

sexualität und kapitalismus: ja watt denn nu?

Erzähler_in1: In den vorherigen beiden Ausgaben des hEFts hat die Gruppe wi(e)derdienatur vor allem dargestellt, wie die Verbindung von Sexualität und Kapitalismus nach Ansicht bestimmter Theoretiker_innen sein sollte – was noch nicht viel darüber aussagt, wie die Subjekte diese Verhältnisse erfahren. Oft halten sich die Menschen nicht an theoretische Vorgaben. Der letzte Text der Reihe dokumentiert ein nie stattgefundenes Gespräch zwischen zwei Menschen der Gruppe und einigen, die sich Anfang September bei einem Workshop zum Thema getroffen haben.

Apfel: In unseren letzten beiden Texten haben wir zwei verschiedene Theoriestränge vorgestellt, die einen Zusammenhang von Sexualität und Kapitalismus herstellen. Die Vertreter_innen der Repressionshypothese gehen davon aus, daß der Kapitalismus Sexualität unterdrückt. In dieser Vorstellung steht die rationale Organisation der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft einem Prinzip der Lust und sinnlichen Erfüllung entgegen. Dann haben wir uns mit einer entgegengesetzten Theorie beschäftigt, die meint, daß der Kapitalismus bzw. die Moderne Sexualität nicht unterdrückt, sondern überhaupt erst hervorbringt. Hier ist auch weniger von Verboten die Rede als viel mehr von Anreizen – eine Sexualität zu haben und an diese eine Identität zu knüpfen, wird in der Moderne zur Voraussetzung dafür, an der Gesellschaft teilnehmen zu können. Anhand der Unterscheidung und Kennzeichnung von verschiedenen sexuellen Identitäten strukturiert sich nach dieser Theorie die Gesellschaft – aber auch das stellt sich eher zum Nachteil der Individuen heraus.

Mirabelle: In unserem letzten Text deuteten wir an, daß es eine historische Verschiebung von einem repressiven hin zu einem ermutigenden Umgang mit Sexualität gegeben hat. Es spricht einiges für diese Behauptung. Egal, ob Sexualität von der Moderne erst produziert wird oder nicht – als die kapitalistischen Verhältnisse hergestellt wurden, gab es die Vorstellung, daß Sexualität etwas Bedrohliches wäre und mit dieser Vorstellung wurde Politik, repressive Politik betrieben. Als diese Verhältnisse dann aber etabliert waren, wich die Angst vor dem Sex und er erhielt Einzug in alle Bereiche der Gesellschaft. Was ließe sich daraus folgern? Zum einen ist denkbar, daß sich die Repression mittlerweile so effektiv in die Subjekte eingeschrieben hat, daß sich ihre Inhalte wie von selbst reproduzieren und kein Druck mehr nötig ist. Andererseits könnte man sagen, daß zum aktuellen Stadium des Kapitalismus eine repressive Triebstruktur einfach nicht mehr paßt, weil die postfordistische Produktionsweise sehr stark auf Kreativität, Einfühlungsvermögen und Flexibilität setzt. Anders gesagt, am Fließband braucht man triebgehemmte Subjekte, während die Projektarbeit eher kreative braucht. Im zweiten Punkt liegt schon ein Einwand gegen die These der historischen Verschiebung: Ist die Frage von Repression und Produktion von Sexualität vielleicht genau wie die Frage Projektarbeit oder Fließband eine Frage von Milieus? Und wenn man schon bei sozialer Ungleichheit ist: Ist es nicht so, daß in den Zentren Fortpflanzung gefördert wird, während derselbe Staat Geburtenkontrolle nach Afrika exportiert? Ist die Frage Repression/Produktion also nicht eher eine Frage von Herkunft, Milieu und politischem System, mit anderen Worten von Rasse, Klasse, Nation?

Birne: Wenn ich von einer historischen Entwicklung von einem repressiven hin zu einem gestaltenden Umgang mit Sexualität ausgehe, sollte klar sein, daß es sich hier nicht um eine lineare Entwicklung handelt. Abhängig von den Faktoren, die du genannt hast – Rasse, Klasse, Nation – gibt es Brüche, Unterschiede und Ungleichzeitigkeiten. Trotzdem würde ich den historischen Unterschied nicht leugnen – oder ist das vorstellbar: Onanieverbot für Fabrikarbeiter und Hartz-IV-Empfänger, während die Projekte-Party-Subjekte der Mittelschicht munter sexuell sein dürfen? Und so rassistisch und postkolonial der »Export der Geburtenkontrolle« auch ist – sind es wirklich Prüderie und repressive Sexualmoral, die hier exportiert werden? Die Aufklärungsprogramme, die dort gefahren werden, zielen doch darauf, daß über Sexualität geredet werden soll – die Voraussetzung für eine Etablierung des »guten Sex« und damit für Bio-Politik – die natürlich auch rassistisch sein kann. Ich würde also dabei bleiben, daß es heute mehr Ermutigung gibt und weniger Repression.

Obstsalat: Wir finden auch, daß heute ganz viel über Anreizstrukturen läuft. Es gibt z.B. einen üblen Leistungsdruck im Sexleben. Es gibt ein medial präsentes Ich-Ideal der ständigen sexuellen Leistungsbereitschaft. Wir werden die ganze Zeit gedrängt, diesem Ideal zu entsprechen, wobei dazu zunehmend auch Hilfsmittel erlaubt sind, die vor 10 Jahren noch verrucht und verboten waren. »Du sollst«, ist das Credo, es gibt keine direkte Strafe für die Verweigerung. Sicherlich hat diese Norm je nach Klasse oder Milieu, Herkunft, Alter, Geschlecht und anderen Strukturen besondere Ausprägungen, sie läßt sich aber insofern generalisieren, daß sie für den größten Teil der Bevölkerung gilt.

Birne: Wobei dieses ständige Drängeln zum »guten Sex« im Ganzen schon wieder repressive Züge trägt, weil die Möglichkeit zum Glück unterdrückt wird – denn wer ist schon glücklich mit dem, was in unserer Gesellschaft als »guter Sex« angepriesen wird.

Siebenkräuter: Aber was Du ansprichst, ist schon eine andere Repression als die der Repressionshypothese, die ja davon ausgeht, daß eine ursprünglich vorhandene Sexualität unterdrückt wird. Und diese Unterdrückung gibt es durchaus auch noch, gerade in der Erziehung. Es passiert z.B., daß Kindern der Umgang mit gleichgeschlechtlichen Freund_innen verboten wird, weil die Eltern fürchten, daß sich Homosexualität entwickeln könnte. Da wird also schon kindliche Sexualität unterdrückt – allerdings eben eine ganz bestimmte Sexualität, nämlich die homosexuelle. Gleichzeitig gibt es eine starke Anreizstruktur in Bezug auf heterosexuelles Begehren: Fast jede_r wurde als Teenie befragt, ob es schon Kontakte zum anderen Geschlecht gibt. Repression und Ermutigung gehen hier Hand in Hand mit demselben Ziel, der Erzeugung einer angepaßten und sozialverträglichen (Hetero-)Sexualität. Und das paßt auch auf ein anderes typisches Feld für das Erlernen sexueller Spielregeln: die Disco. Zum einen wird ganz stark erwartet, daß man sich dem anderen Geschlecht zuwendet, zum anderen gibt es immer noch ganz handfesten Gegenwind, wenn man offen schwul oder lesbisch auftritt. Zumindest ist das in Erfurt so.

Pfannengemüse: Und die Förderung der Heterosexualität hat dann wieder viel mit Ökonomie zu tun. Paarbeziehungen sind schon ein wichtiger Ort für die Reproduktion des Systems, nicht nur am einzelnen Menschen, sondern auch für die Erzeugung neuer Menschen und die Weitergabe von Normen an die nächste Generation. Andererseits ist auch Homosexualität gut nutzbar für Systeminteressen. Vielfalt wird heute als kulturelles Kapital gehandelt. Es ist kein Wunder, daß der Oberbürgermeister die Schirmherrschaft über den Christopher- Street-Day übernimmt. Eine weltoffene Stadt hat ökonomisch bessere Karten als eine kleinkarierte. Daß das in Erfurt noch nicht in allen Etagen angekommen ist, könnte auf die angesprochenen Ungleichzeitigkeiten hindeuten: Oben hat man ein Interesse, Homosexualität für den Standort zu nutzen. Man hofft wahrscheinlich auf eine schwulen Karnevalsumzug wie in Köln oder Berlin und fördert entsprechende Bestrebungen. Weiter unten, bei der Polizei und beim Ordnungsamt, fürchtet man immer noch um die abendländische Kultur und geht entsprechend repressiv mit dem CSD um.

Apfel: Sagen wir also, daß es schon eine historische Tendenz von der Repression hin zur Ermutigung gibt, die aber durch einige Faktoren relativiert wird: Repression und Ermutigung gehen oft Hand in Hand. Abseitige Sexualität wird eher repressiv behandelt als normale. Sowohl Repression als auch Anreizstrukturen funktionieren anders je nach Klasse, Ort, Milieu, Geschlecht, Herkunft, etc. Und wir diskutieren daran weiter.

Werbesprecher_in aus dem Off: Wie gesagt, dieses Gespräch hat nie stattgefunden. Wer weiter mit wi(e)derdienatur an der Frage arbeiten möchte, kann sich an widerdienatur@arranca.de wenden.

  1. Wir benutzen den Unterstrich, um auszudrücken, daß es mehr Geschlechter als Männer und Frauen gibt. Der Unterstrich markiert eine sprachliche Lücke, die normalerweise uneindeutige oder nicht stabile Geschlechter unsichtbar macht. [zurück]